Predigt zum 28. Sonntag im Jahreskreis
L I: 2 Kön 5, 14-17 / Ev.: Lk 17, 11-19
Schwestern und Brüder!
Zwei Wunderheilungen haben wir eben gehört; wobei ich Sie einladen möchte, mit mir heute mal die alttestamentliche Erzählung genauer anzuschauen. Weshalb? Weil sie für mich der Schlüssel zum besseren Verständnis des Evangeliums ist. Stellen wir uns also mal vor, die Begegnung von Naaman und Elischa, diese sagenhafte Heilung, hätte sich heute ereignet. Wahrscheinlich wären die Zeitungen voll davon. Schlagzeilen wie: „Syrischer General wie durch ein Wunder geheilt“ – oder: „Jordanwasser – die alternative Medizin unserer Zeit“ würden die Titelseiten der Tagespresse beherrschen; in großen Artikeln würde weiter ausgeführt werden, dass die Mediziner vor einem Rätsel stehen; die Fachwelt sich das nicht erklären kann und dass angesehene Forschungsinstitute Tag und Nacht neue Proben aus dem Jordan entnehmen um diese zu untersuchen. Kranke aus aller Welt würden an den Jordan pilgern, die Hotels wären rappelvoll und der Export von Jordanwasser triebe die Börse auf ein neues Jahreshoch.
Ich meine – dies wäre mit großer Wahrscheinlichkeit die heutige Reaktion auf diese Begebenheit. Aber – sie würde eben an der Wundersucht der Menschen – an der Oberfläche – hängenbleiben. Naaman dagegen ist durch dieses Ereignis und durch diese Begegnung zum Wesentlichen vorgedrungen. Schauen wir ihn uns mal genauer an: In gewisser Weise war er ein durchaus moderner Mensch, der uns in seinem Denken und Verhalten – behaupte ich jetzt mal – recht nahesteht. Als General der syrischen Armee war er sehr gebildet und deshalb auch auf dem Laufenden, was die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit betraf. Als er vom Aussatz befallen wird, ist ihm sofort klar, dass diese Krankheit – Stand damals – medizinisch nicht zu heilen ist. Also tut er, was heute auch viele Menschen tun: Er probiert andere Wege aus, um vielleicht doch eine Heilung zu erreichen. Es gibt ja genug, was man ausprobieren kann. Man kann sich wundertätige Amulette um den Hals hängen oder sich kupferne Reifen ums Handgelenk binden, um so vielleicht Abhilfe zu schaffen. Man kann aber auch zum Wahrsager gehen oder zum Geistheiler, sich von Fachfrauen und Fachmännern beraten lassen oder an einen bekannten Wallfahrtsort fahren in der Hoffnung, dort Heilung zu finden.
Die Wahl des Naaman fällt damals auf Elischa. Dieser steht im Ruf, ein Mann Gottes zu sein – nur: in Naaman’s Augen war er zunächst nichts anderes als ein besonders bekannter und erfolgreicher Wunderheiler. Aber er denkt sich halt: Warum sollte ich es nicht mit ihm probieren? Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich wohl auf der untersten Glaubensstufe – mehr zweifelnd und voller Skepsis gegenüber allem, was mit Religion und Glaube zu tun hat. Doch er macht sich auf den Weg zu Elischa. Als er dann bei ihm ist, sagt dieser nur zu ihm: „Geh und tauche siebenmal im Jordan unter, dann wirst du rein.“ – „Was? Mehr nicht?“, hör’ ich Naaman unsicher sagen. „Kein Zauberspruch, keine Beschwörung…nichts von alledem?“ – „Nein, du brauchst nur siebenmal unterzutauchen.“ Wahrscheinlich sinniert Naaman darüber nach, ob das wohl helfen kann. Und so wie heute viele sagen: „Schaden kann es nicht“, lässt sich Naaman darauf ein.
Wie schnell er nun seine Skepsis überwunden hat? Wir wissen es nicht. Aber letztlich glaubt er dem Wort des Elischa und erreicht damit eine weitere Stufe im Glauben. Er glaubt an das Ritual, die Medizin und die Methode. Heutzutage wissen wir, dass diese Art von Glauben für eine Heilung ganz wichtig ist. Wenn jemand fest an etwas glaubt, dann wirkt es i.a.R. auch: Sei das nun ein Gegenstand oder eine Tablette. Der Glaube daran bewirkt vielfach – nicht immer – aber vielfach, dass es besser wird.
Auf dieser Stufe glaubt Naaman jetzt. Er glaubt dem Elischa wie ein Patient wohl seinem Arzt glaubt. Wenn der sagt: „Diese Tablette wird ihnen helfen“ – selbst wenn es nur Traubenzucker ist – dann wird diese Tablette durchaus gute Dienste verrichten. Sie hilft, weil der Patient glaubt. Und wenn Elischa dem Naaman eben sagt, er solle im Jordan untertauchen, dann macht der das, weil er ihm glaubt. Und das Wunder geschieht tatsächlich.
Und nun kommt das, was auch heute in solchen Fällen passiert: Naaman geht zurück und fragt, was es kostet. Zwar bringt er seine Heilung auch irgendwie mit Gott in Verbindung, doch im Zentrum seines Anliegens steht das Wort: „Sag mir, was du bekommst. Ich will mich erkenntlich zeigen. Und wenn du keine Bezahlung willst, dann lass dir wenigstens was schenken.“ Viele denken so. Was nichts kostet, taugt nichts. Außerdem will man ja niemandem was schuldig bleiben. Ich will wieder quitt sein mit dir oder deinem Gott oder auch mit euch beiden. Aber – Elischa nimmt nichts. Er nimmt nichts für sich und er sagt auch nicht: „Dann wirf halt was in den Opferstock.“ Wenn er das nämlich tun würde, würde Naaman die nächste Stufe seines Glaubens nie erreichen. Die Geschichte würde so ausgehen, wie wir sie heute in den Zeitungen lesen würden – als Sensation oder als modernes Märchen.
So aber versteht Naaman, wie er seinen Dank wirklich ausdrücken kann. Er erkennt, dass hier eben nicht Zauberei am Werk war – nein, er erkennt eindeutig: Hier hat Gott gewirkt. Und diesem Gott will er dankbar sein, mit ihm und für ihn will er fortan leben. Endstation der Glaubensleiter: Naaman erreicht die Ebene, auf der er eine lebendige Beziehung zu Gott findet. Also eigentlich keine Wunder-, sondern vielmehr eine Glaubensgeschichte.
Und wieder stelle ich mir vor, diese Geschichte hätte sich heute ereignet. Vielleicht würde ein Journalist sich für Naaman interessieren und ein Inter-view mit ihm führen. Und zu seiner Überraschung würde ihm dieser Naaman sagen: „Das Wesentliche an dieser Begebenheit ist für mich doch gar nicht die Tatsache, dass ich wieder gesund bin. Viel wichtiger ist für mich geworden, dass ich zum Glauben an Gott gefunden habe. Das hat zwar gedauert, aber ich glaube der erste Auslöser war das Untertauchen. Im Rückblick erscheint es mir fast gar wie eine Taufe – da habe ich neue Lebensmöglichkeiten bekommen. Das zweite Wichtige war für mich: Ich bin umgekehrt. Ich hätte es einfach nicht fertiggebracht, sofort in meine Heimat zurückzukehren. Also bin ich umgekehrt – im doppelten Sinn. Ich habe kehrtgemacht auf meinem Reiseweg und ich habe eine Kehrtwendung in meinem Leben vollzogen. Irgendwie hatte ich ja immer das Gefühl, dass das etwas mit Gott zu tun hat. Nur – wenn er mich wirklich gesundgemacht hat, dann kann ich mich doch nicht nur mit ein paar Geschenken aus der Affäre ziehen. Dann will dieser Gott mehr als nur ein paar gestiftete Kerzen oder den besagten Wurf in den Opferstock – dann will er, dass ich mein Leben mit ihm lebe und mich nach seinem Wort ausrichte. Deshalb habe ich auch symbolisch Erde mitgenommen. Ich habe durch all das nämlich eine neue Lebensgrundlage gefunden – ich stehe jetzt auf dem Boden des Glaubens. Deswegen habe ich auch kein wundertätiges Jordanwasser mitgenommen, weil nicht das Wasser mich verändert hat, sondern Gott. Allein durch ihn habe ich neuen Boden unter die Füße bekommen.“
Der Journalist hörte sich diese Erzählung wohl an und würde auch eifrig mitschreiben. Aber dann käme die Frage für ihn: Wen interessiert denn, ob dieser Mann gläubig geworden ist oder nicht? Und deshalb schreibt er den Artikel nicht – und auch als einmal zehn Aussätzige durch Jesus geheilt worden sind, schwiegen die Nachrichten darüber, dass ein Einziger gläubig geworden war.
Bertram Bolz, Diakon

